“EIN BREITER ABGESTÜTZTER APPELL AUS ÄGYPTEN IST NICHT DENKBAR”
Faktencheck nach dem Offenen Brief der Ägyptischen Forschungs- und Zivilgesellschaft
Es lässt sich nicht belegen, dass es sich um Grabraub handelt, die Umstände der Grabentnahme Schepeneses sind schlichtweg nicht bekannt.
↳ Falsch. Die Umstände des Grabraubs sind bekannt. Im stiftseigenen Buch „Schepenese - die ägyptische Mumie der Stiftsbibliothek St. Gallen“, verfasst von Peter Müller und Renate Siegmann und herausgegeben von Cornel Dora, steht auf Seite 59: „Die Särge der Schepenese dürften aus einer Raubgrabung stammen.“ Und auf Seite 39 noch einmal: „Die Särge stammen nicht aus einer archäologischen Grabung.“
Der Kauf und die Ausfuhr der Schepenese waren legal.
↳ Auch das ist falsch. Die erste offizielle, vom ägyptischen Statthalter ausgestellte Graberlaubnis im Tempelbezirk der Schepenese stammt vom November 1820. Aus den Dokumenten der „Ägyptischen Nationalbibliothek und des Archivs Dar al-Watha‘iq al-Qawmiya“ geht hervor, dass (der Erstbesitzer der Schepenese) Heinrich Menu von Minutoli von (dem damaligen Gouverneur der osmanischen Provinz Ägypten) Mehmet Ali Pascha nur zwei Genehmigungen zur Untersuchung archäologischer Stätten in Siwa und Girga erhalten hat, die beide erst im November 1820 ausgestellt wurden. Schepenese selbst erreichte aber bereits im Sommer 1820, also mehrere Monate davor, St.Gallen. Bereits am 30. Januar 1820 erhielt Karl Müller-Friedberg, Gründer und führender Politiker der Stadt St. Gallen, einen Brief aus Ägypten, der ihn über den Erwerb einer der „schönsten“ Mumien des alten Ägyptens und deren Verbringung nach St. Gallen informiert. Heinrich Menu von Minutoli hatte sie (sogar noch vor Januar 1820) mit anderen Altertümern in Ägypten erworben und an den preussischen Staat verkauft - ein Jahr bevor es eine offizielle Erlaubnis zur Grabung gab. „Legal“ trifft also sogar im Kontext jener Zeit nicht zu – Schepenese wurde ausgeführt, bevor es überhaupt nur schon eine Erlaubnis zur Grabung gab. Nach heutigen Massstäben ist schon die Frage nach der „Legalität“ absurd.
Die St Galler Erklärung ist einfach Aktivismus ohne Fundament. Die meisten Ägyptolog*innen und Expert*innen reagieren mit Unverständnis, es ist eine Minderheitenmeinung.
↳ Falsch. Bereits die Liste der 100 Erstunterzeichnenden der St. Galler Erklärung wiederlegte diese Aussage. Mit Professorin Monica Hanna ist eine renommierte Ägyptologin aus Ägypten selbst Teil des Komitees der St. Galler Erklärung. Mit Heba Abd El Gawad ist eine weitere Ägyptologin aus Ägypten Teil der Erstunterzeichnenden. Mit Bénédicte Savoy eine hoch renommierte Kunsthistorikerin aus Frankreich, mit Gesine Krüger eine angesehene Schweizer Professorin und Expertin für Restitution. Auch weitere Historiker*innen wie Monika Dommann, Jakob Tanner, Erich Keller sind mit dabei.
Wie nun ein offener Brief, unterzeichnet von 125 (!) ägyptischen Archäolog:innen, Ägyptolog:innen, Gelehrten etc beweist, handelt es sich bei dem Wunsch um würdevollen Umgang und möglicherweise der Restitution einer aus einer „Raubgrabung“ (Zitat Cornel Dora) stammenden Frauenleiche, keineswegs um eine Minderheitenmeinung. Sondern um eine in der wissenschaftlichen Community (sehr) breit und explizit geteilte Forderung in Ägypten. Ein breiter abgestützter Appell aus Ägypten ist nicht denkbar.
Niemand in Ägypten fordert die Rückkehr von Schepenese.
↳ Absolut falsch. Eine lange, immer länger werdende Liste von Menschen fordert genau das (siehe Offener Brief der ägyptischen Forschungsgemeinschaft). Diese Forderung umfasst explizit: die Einsetzung einer schweiz-ägyptischen Arbeitsgruppe; die Öffnung und Auswertung aller Archive in Ägypten und der Schweiz. Der Antrag an das ägyptische Ministerium für Altertümer ist in Ausarbeitung, um – neben der St.Galler Interpellation und dem Offenen Brief der Ägyptischen Forschungsgemeinschaft – einen offiziellen Anspruch auf Schepenese zu erheben. Die nötige Debatte ist in Gang gesetzt, an die Stelle strategischer Fehlinformation tritt nun endlich die Auswertung der Archive und der Sachliteratur.
Wir können Mumien ausstellen, Ägypten stört es ja nicht.
↳ Falsch. Sowohl der Fakt, dass Schepenese bis zum Brustbereich ausgewickelt ist, wie die touristische St.Galler Ausstellungspraxis wird im Offenen Brief der ägyptischen Forschungs- und Zivilgesellschaft mit grosser Sorge beschrieben. Mit dem Offenen Brief und der Einleitung des offiziellen Antrags auf Restitution verbunden ist ein tiefes, explizit formuliertes Unbehagen an den Umständen einer aus einer Raubgrabung und illegal, also eindeutig ohne offizielle Grabungs- oder Ausfuhrerlaubnis in die Schweiz gelangten ägyptischen Kulturguts.
In Ägypten hat es schon genügend Mumien. Also müssen wir auch keinezurückgeben.
↳ Falsch. Ob Ägypten „genügend Mumien hat“, ist nicht in unserem Ermessen zu beurteilen. Grundsätzlich ist Vorsicht geboten, wenn ein Dieb seinen Raub rechtfertigt mit dem Argument, es sei ja noch genügend da. Zudem soll die wissenschaftliche, juristische und ethische Debatte um die „Raubgrabung“ der Schepenese den Anfang bilden für einen besseren Umgang mit geraubten menschlichen Überresten im internationalen Massstab. Hier kann und soll die Schweiz ein Beispiel setzen.
Es ist viel wertvoller, wenn Schepenese hier in St. Gallen ist und von ihrer Zeit erzählt / als Botschafterin Ägyptens hier ist, statt in Ägypten unter allen anderen Mumien unterzugehen.
↳ Falsch. Man kann ein gestohlenes Auto nicht behalten, nur weil man behauptet, eine bessere Garage zu besitzen. Gerade die ökonomische Auswertung einer ausgewickelten Frauenleiche steht ja in der Kritik – eine gegen ihren Willen zur Attraktion degradierte, tote Person als „Botschafterin“ zu bezeichnen, ist nichts anderes als zynisch. Eine Restitution ist juristisch und ethisch zwingend. Dies gilt noch verschärft bei aus „Raubgrabungen“ (Siegmann/Dora) stammenden Leichen.
Aus rechtlicher Sicht sind die Fragen mit der Unesco-Konvention von 1970 und dem Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer von 2003 geklärt.
↳ Falsch. Die beiden Dokumente „klären“ keine Einzelfälle, sondern bieten eine juristische und methodologische Basis, auf der solche Klärungen überhaupt vorgenommen werden können. Die Arbeitsgruppe zur Schepenese wird gemäss den Ideen und Richtlinien dieser Dokumente ihre Strategie erarbeiten, im Austausch sowohl mit dem Schweizer wie dem ägyptischen Zivilgesellschaft, den jeweiligen offiziellen Stellen und der UNESCO.
Die Mumie ruht in der Stiftsbibliothek im schönsten Mausoleum, das man sich vorstellen kann.
↳ Falsch. Zweifellos ist die Stiftsbibliothek ein wunderschönes Museum. Aber den Aufbewahrung-sort einer aus einer „Raubgrabung“ (Dora/Siegmann) hervorgegangenen, nackt ausgewickelten menschlichen Leiche, die gegen Geld an Hunderttausende Tourist*innen vorgezeigt wird, als „Mausoleum“ zu bezeichnen, ist nicht nur absurd, sondern schlichtweg unsinnig und, noch einmal: zynisch.
Nur Schepeneses Kopf und Schultern sind sichtbar, der restliche Körper ist mit einem Tuch bedeckt. Sie ist also nicht bis zur Brust ausgewickelt.
↳ Falsch. Dies ist eine weitere bewusste Fehlinformation, um die perverse Tragweite der Verletzung der Totenruhe zu verschleiern. Die Schultern und der obere Oberkörper der Schepenese sind vollständig sichtbar bis zum Brustbereich – wie jedes Bild klar zeigt.
Die Mumie gehört zum Stiftsbezirk.
↳ Falsch. Eine aus einer „Raubgrabung“ (Siegmann/Dora) und ohne offizielle Erlaubnis ausgeführte Mumie „gehört“ dorthin, von wo sie entwendet wurde. Das gilt für alles Raubgut, insbesondere aber für eine Leiche. Auf Schepeneses Sarg heisst es explizit, sie wünsche sich „ein schönes Begräbnis im Friedhof und Totenreich der Westwüste von Theben.“ Dass man eine geraubte Leiche zurückgeben muss, deren letzter Wunsch explizit bekannt ist: Das ist so klar, dass es nicht weiter erklärt werden muss. Auf dem „Besitz“ der Schepenese zu beharren, ist absolut unhaltbar.